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(* Alle Namen wurden geändert. Ähnlichkeiten mit gleichnamigen, anderen lebenden Personen sind unbeabsichtigt und zufällig.)
Als Achim* verstarb, hinterließ er seiner Frau und Tochter den Hinweis, dass er noch einen Sohn mit einer anderen Frau habe. Ehefrau Christine* und Tochter Sophie* machten sich auf die Suche. Und das nicht nur, um dem vorher unbekannten Familienmitglied sein Erbteil zu vermitteln.
Doch die Ermittlungen waren schwierig.
Zwar waren Christophs* Namen, das Jahr seiner Geburt und Berlin als damaliger Wohnort bekannt, doch dies war für die Auskunft der Meldestelle am Wohnort nicht ausreichend.
Auch die Anfrage bei den zuständigen Standesämtern blieb erfolglos. Die Ämter konnten Achim, als Vater, keinen Geburtseintrag eines Sohnes mit Namen Christoph zuweisen.
Ehefrau Christine suchte nach weiteren Möglichkeiten. Sie schrieb und telefonierte mit Institutionen und Ämter, die vielleicht Auskunft geben konnten.
Ihr Mann Achim war zu DDR-Zeiten ein aktives Mitglied des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB) gewesen. Bei einem FDGB-Treffen in Bautzen war es wohl auch zu der im Nachhinein aufgedeckten Affäre gekommen, aus der dann Christoph als außerehelicher Sohn hervorging. Durch die politische Aktivität Achims und die damit verbundenen zahlreichen Kontakte, war eine Aktenführung beim Ministerium für Staatssicherheit der DDR durchaus denkbar.
Doch der Antrag auf Akteneinsicht bei der Stasi-Unterlagenbehörde wurde abgewiesen.
„Erbenermittlung sei keine ausreichende Begründung für die Einsicht in die Akten“, so die Antwort der Behörde.
Eine weitere Sackgasse.
Damit waren für Ehefrau Christine und ihre Tochter Sophie so ziemlich alle Möglichkeiten ausgeschöpft. Da das Nachlassgericht selbst keine weiteren Recherchen unternimmt, konnte von Seiten der Behörden auch keine Informationen mehr zum Verbleib erwartet werden.
Tochter Sophie wandte sich Hilfe suchend an mich.
Sophie dürfte es sicher nicht leicht gefallen sein, sich mit solch einem sehr persönlichem Familienanliegen an einen Außenstehenden zu wenden. Zugegeben bin ich eigentlich nur teilweise ein außenstehender Dritter.
Unsere Familien kennen sich schon seit vielen Jahren. Als Kind und Jugendlicher war ich ihrem Vater Achim sogar mehrfach persönlich begegnet.
Bei dem ersten Telefongespräch versuchte ich bereits die Ausgangssituation einzuschätzen. Ich bat um alle vorhandenen Informationen zum gesuchten Halbbruder und seiner Mutter, sowie um Hintergrundfakten zu Achim und der bisher erfolglosen Suche.
Wenige Tage später bekam ich alle benötigten Unterlagen und Notizen.
Nach Sichtung und Sortierung alle Aufzeichnungen begann ich mit der Suche.
Die Ausgangssituation war nicht besonders Erfolg versprechend. Dennoch wollte ich nichts unversucht lassen.
Die Suche nach noch lebenden Familienmitgliedern ist in Deutschland wegen des sehr umfassenden Schutzes von Personendaten sehr schwierig.
Teilweise ist es selbst für direkte Verwandte unmöglich Auskünfte zu bekommen. Hinzu kommt, dass Auskünfte in vielen Fällen nur auf der Grundlage bestimmter notwendiger Daten und Dokumente gegeben werden können. In erfassten Personendaten jüngerer Zeit zu suchen, ist auch in Archiven meist nur durch Archivmitarbeiter selbst möglich.
Als nach dem Gesetz außenstehender Dritter blieben mir hier nur 3 Möglichkeiten, auf die ich Zugriff hatte:
Die Informationen zu Christoph waren einfach nicht genug. Alles was ich hatte, waren:
Er hätte inzwischen überall und nirgends sein können.
Zu seiner Mutter, Regine*, gab es da schon einige Anhaltspunkte mehr.
Ich begann mit einer ersten Online-Recherche.
Ich durchsuchte soziale Netzwerke nach den Namen der Mutter und des Sohnes, durchkämmte alte Berliner Telefonbücher und klickte mich durch die unterschiedlichsten Webseiten.
Ich chattete mit der Bank, um Gewissheit über die Grenzen des Bankgeheimnisses zu bekommen. Ein Versuch war es wert. Vielleicht gelang es Sophie als direkte Verwandte Kontaktinformationen vermittelt zu bekommen.
Ein Gedanke ging mir nicht aus dem Kopf: Das FDGB-Treffen in Bautzen.
Aus irgend einem Grund klammerte ich mich an diesen Gedanken. Vielleicht war es nur ein Bauchgefühl. Vielleicht suchte ich unterbewusst den Weg, auf dem ich mich als Historiker und langjähriger Besucherreferent in DDR-Gedenkstätten besser auskannte – die Geschichte der DDR und ihrer Organisationen.
Ich konzentrierte meine Suche also auf Christophs Mutter und die FDGB.
In den Beständen des Bundesarchivs fand ich Informationen zum Freien Deutschen Gewerkschaftsbund, Abschlussarbeiten der Mutter und – kaum zu glauben – auch die Abschlussarbeit von Achim. Sie hatten scheinbar 1973 bzw. 1974 an der selben Hochschule ihre Ausbildung abgeschlossen.
Ich verfolgte die Spur weiter. Die 70er Jahre lagen zu weit zurück. Ich brauchte Hinweise aus jüngerer Zeit.
Mithilfe verschiedener Internetsuchmaschinen und den passenden Schlagwörtern fand ich weitere Informationen und sogar ein Foto mit Bildunterschrift. Angeblich war darauf Regine als Teilnehmerin bei einer Veranstaltung im Jahr 1990 zu sehen.
Was nützt ein Foto einer Frau, deren Aussehen ich nicht kannte?
Es war zu unsicher, dass es sich dabei um ein und dieselbe Person handelte. Dennoch schien es aufgrund der sich häufenden Hinweise nicht unwahrscheinlich.
Über die veröffentlichte Chronik einer Berliner Wohnungsgenossenschaft fand ich schließlich die heiße Spur.
Eine Frau gleichen Namens war bereits in den 1980er Jahren in den Vorstand gewählt wurden und blieb laut Chronik bis 1995 aktives Mitglied.
Ok, auch das lag schon mehr als 20 Jahre in der Vergangenheit, aber vielleicht gab es ja in der heutigen Genossenschaft noch jemand, der mir weiterhelfen konnte.
Ich besuchte die aktuelle Website der Wohnungsgenossenschaft. Unter den veröffentlichen Ansprechpartnern hoffte ich jemand zu finden, der aufgrund seines Alters als Zeitzeuge in Frage kam.
Vielleicht kam ich so an weitere Hinweise.
Ich klickte mich durch die angegebenen Kontakte.
Die meisten Ansprechpartner waren jüngeren Alters und kannten Regine wahrscheinlich, wenn überhaupt, lediglich vom Hörensagen.
Da ich selbst in verschiedenen Vereinen aktiv bin, wusste ich, dass Kontakte aus gemeinsamer aktiver Zeit meist bestehen bleiben. Es war also nicht unmöglich, dass ein älteres Mitglied Regine und deren Familie kannte.
Ich las nacheinander die angegebene Namen, auf der Suche nach der Nummer eines aktuellen Vorstandsmitgliedes.
Plötzlich las ich den Namen Christoph.
Ich konnte es zunächst selbst nicht glauben.
Konnte es sein, dass der gesuchte Christoph, heute für diese Wohnungsgenossenschaft tätig war?
Konnte es tatsächlich der gesuchte Halbbruder sein?
Es war durchaus denkbar, dass der Sohn einer sozial und politisch sehr engagierten Mutter ähnlich aktiv war. Dennoch zweifelte ich und überdachte die mögliche Szenarien und Lebenswege von Mutter und Sohn.
Das Gesicht des Mannes auf dem zugehörigen Foto sah allerdings etwas zu jung aus. Aber mal ehrlich, wie aktuell sind schon Bilder von Ansprechpartnern auf Internetseiten.
Ich speicherte den Link zur Webseite und die ermittelten Kontaktdaten.
Obwohl die angegebene Sprechzeit schon vorbei war, rief ich verschiedene Telefonnummern an.
Leider ohne Erfolg.
Ich schickte Sophie die Informationen und hoffte auf eine schnelle Rückmeldung. Wenige Minuten später rief sie an. Auch sie war sich anhand des Fotos unsicher. Meinte aber, Ähnlichkeiten zum Vater erkennen zu können.
Sophie sagte, sie werde zur nächsten möglichen Sprechzeit selbst einen Anruf unter der gefundenen Nummer wagen.
Zwei Tage später rief mich Sophie abends an.
Sie hatte mit dem auf der Internetseite ermittelten Christoph gesprochen.
Er war es.
Besser gesagt: Er ist es.
Die gefundene Person auf der Website ist tatsächlich ihr ehemals unbekannter Bruder.
Überglücklich und mit zitternder Stimme dankte Sophie mir für meine Recherchen.
Als ich auflegte, hatte auch ich feuchte Augen. Gleichzeitig durchströmte ein Glücksgefühl meinen Körper.
In diesem Moment wurde mir wieder einmal klar, warum ich das, was ich tue, so liebe.
Es ist die Herausforderung bei jeder Auftragsanfrage.
Es ist die Spannung bei der Suche.
Es ist die Freude, meinen Mitmenschen bei der Suche nach Informationen und Personen helfen zu können.
Egal, in welchem Jahrhundert ich nach Hinweisen suchen darf. Jede Zeit hat ihren Reiz und ihre Herausforderungen.
Nicht immer ist eine Suche erfolgreich. Aber sollte man es darum unversucht lassen?
„Scheitern ist nicht so schlimm. Schlimm ist, nichts versucht zu haben.“ (Heinz Eggert)
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